27. Sonntag B / Erntedank "Was mein Leben reicher macht"
Predigt 27. Sonntag im Jahreskreis B „Was mein Leben reicher macht“
Liebe Schwestern und Brüder
Seit vielen Jahren schließt die Wochenzeitschrift „DIE ZEIT“ auf ihrer letzten Seite mit der Rubrik „Was mein Leben reicher macht“. Leser können dort kurze Erzählungen von Erlebnissen aus ihrem Alltag posten, die dann einer großen Leserschaft einen ermutigenden Impuls geben soll, selbst auf die Momente zu achten, die das eigene Leben reicher machen.
In der letzten Ausgabe fand ich z.B. den Bericht einer Frau aus Schleswig-Holstein, die sich erinnert: „Am frühen Vormittag stehe ich am Empfang der Praxis, in der ich für eine Endoskopie angemeldet bin. Die freundliche Mitarbeiterin stellt mir noch ein paar Fragen zur Vorbereitung – und als letzte: Brauchen Sie eine Krankmeldung für den heutigen Tag – Ich bin vor zwei Wochen achtzig geworden.“
Und eine jüngere Frau aus Solingen erzählt: „Auf meinem morgendlichen Spaziergang grüße ich einen entfernten Nachbarn in seinem Garten. Er fragt, ob ich ein paar Nüsse haben wolle, und legt mir auch gleich drei Exemplare in die Hand: »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel!«, sagt er. Die trage ich nun stets in meiner Tasche bei mir – und fühle mich wie eine Prinzessin.“ (DIE ZEIT 42 /2024).
Aber nicht nur kleine humorige Anekdoten füllen die Spalte, manchmal sind es wirklich Begegnungen, die Hilfe für das Leben bereithalten. So dankt eine Frau mittleren Alters dafür, „(D)ass unser alter Pastor bei der schweren Beisetzung meiner Nichte, die mit 13 Jahren plötzlich verstarb, so tröstliche Worte für unsere Familie fand.“ (DIE ZEIT 32/2021)
„Was mein Leben reicher macht“ Es ist gut, dass Leser mit anderen Menschen teilen, wofür sie dankbar sind. Sie inspirieren mich und andere, selbst nachzudenken, was unser Leben reicher macht und wofür wir danken können. Es geht dabei nicht um einen Reichtum, den man auf dem Bankkonto sieht oder der sich in materiellen Werten ausdrücken kann. Es geht um Lebensfreude, Sinnfindung, Hoffnung und die Dankbarkeit für das, was mein Leben schön und lebenswert macht.
„Was mein Leben reicher macht?“
Wahrscheinlich werden viele von uns aus dem Stand Ereignisse aufzählen können, die diese Frage erschöpfend beantworten. Manchmal sind diese Erfahrungen mit Naturerlebnissen verbunden: Der herbstliche Spaziergang bei Sonnenschein mit Freunden; die Wanderung in den Bergen mit Besteigen eines Gipfels in den Alpen oder einer Höhe in der Rhön, die wunderbare Ausblicke öffnen; der Blick auf das spiegelnde Wasser eines Sees oder Meers, die Ruhe und Glanz ausstrahlen. Die Bilderspeicher unserer Handys und unsere Fotoalben sind voll von solchen Eindrücken. Zumeist aber sind es Begegnungen, Beziehungen und Gemeinschaftserlebnisse, die uns sagen lassen: „Das hat mein Leben bereichert.“
Ein älterer Leser erzählt: „Eine E-Mail von einem hundertjährigen Freund, der sich vor ein paar Monaten einen Tablet-Computer gekauft hat und neulich fragte: „Sag, bist du bei Whats-App?“ Wahrscheinlich würden wir anfügen: „Die WhatsApp meine Tochter, die in München studiert, und sich darauf freut, nächstes Wochenende heimzukommen“; „der Abend, an dem unser Sohn uns mitgeteilt hat, dass er und seine langjährige Freundin im nächsten Jahr heiraten werden“; „der Augenblick, in dem uns die Schwiegertochter erzählt, dass wir Großeltern werden.“ Viele große und kleine Begebenheiten mit anderen Menschen, v.a. unseren Familien, lassen uns glücklich werden und machen unser Leben reicher.
Wir feiern heute das Erntedankfest. Es will uns zeigen, aber auch nachdenken lassen, was das Leben reicher macht. Die Kirchen sind geschmückt mit der ganzen Vielfalt der Natur, mit allem, was in Gärten und auf Feldern, durch die Kräfte der Natur und die Mühe des Menschen gewachsen ist. Bunte Erntedankaltäre gibt es zu sehen und der Duft von Obst und Gemüse, Brot und Blumen liegt in der Luft. Es ist ein Fest für die Sinne und eines zum Besinnen, gerade auch für unsere technisierte Welt. Die Rhythmen der Natur, das Säen, Wachsen, Reifen und Ernten – das alles ist weiterhin bestimmend für unser Leben. Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Schöpfung und allen Geschöpfen ist kein »grünes Hobby« oder ein »Öko-Spleen«, sondern fordert die Weltgemeinschaft in vielfacher Weise. Die Folgen des Klimawandels stehen dabei wohl an erster Stelle, aber auch immer wieder neue Lebensmittelskandale oder die Verantwortung für jene, die ums nackte Überleben kämpfen müssen. Erntedank ist darum auch heute noch oder vielleicht sogar mehr denn je aktuell und wichtig. Und immer schon hat das Erntedankfest den Kreis weit gezogen: Der Mensch soll dankbar auf das schauen, was ihm gegeben ist, aber auch auf das, was ihm dadurch alles möglich ist, was er schaffen, leisten, anstoßen und bewegen kann. Erntedank will bewusst machen, was das Leben reicher macht.
„Was kostet es?“, das ist eine der häufigsten Fragen, die wir im Alltag stellen. Für vieles, was wir im Leben brauchen, müssen wir bezahlen, nicht nur für materielle Güter, auch für schöne Momente: Reisen, Feiern oder Kultur. Aber nicht diese materiellen Dinge machen uns wirklich reich, sondern die unbezahlbaren Erlebnisse, die wir auf einem gemeinsamen Ausflug mit den Kindern oder den Eltern geschenkt bekommen. Das Wertvollste in unserem Leben bekommen wir geschenkt, daran erinnert uns das heutige Erntedankfest. Reich werden wir, weil andere uns durch ihre Liebe, ihre Freundschaft, ihre Treue bereichern, nicht weil wir uns an ihnen bereichern, sie für uns ausnutzen. Gerade die Familie und die Partnerschaft, die in unserer heutigen Gesellschaft oft problematisiert werden angesichts der steigenden Zahlen von Trennungen und der wachsenden Entfremdung zwischen Eltern und Kindern, sind immer noch die Orte, an denen Menschen das Kostbarste entdecken, das sie im Leben finden können, und spüren, was das Leben reich macht.
Davon spricht auch das heutige Evangelium, das ja Ehe und das Leben mit Kindern verbindet. Jesus sprengt das rein rechtliche und institutionelle Denken der Pharisäer im Blick auf die Ehe. Sie ist nicht einfach eine Zweckgemeinschaft. Menschen schließen keinen Vertrag zum beiderseitigen Nutzen. Sie nehmen einander vorbehaltlos an in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit. Sie schenken einander so Vertrauen, Zuversicht und Bestätigung. Ein Mensch sagt ohne Einschränkungen „Ja“ zu mir trotz aller meiner Unzulänglichkeiten, um die ich oft besser weiß als jeder andere. Kann mein Leben reicher werden?
Jenseits der theologischen Auseinandersetzungen im Blick auf das Scheitern einer Ehe und die damit verbundene Frage, ob ich nicht in einer zweiten Partnerschaft glücklich werden kann, was ich durchaus nachvollziehen kann, möchte ich mit Blick auf die Haltung Jesu heute dafür plädieren, die Liebe zwischen zwei Menschen, wie auch immer sie sich gestaltet, als ein Geschenk der Liebe Gottes zu deuten und nicht in der ständigen Sorge zu leben um das, was alles gehen kann. Partner wissen selbst um die Herausforderungen, die auf sie zukommen. Es gibt das kluge Wort: „Ehen werden im Himmel geschlossen, aber auf der Erde gelebt.“ Ich muss als Seelsorger nicht ständig mit gerunzelter Stirn alle Gefahren aufzählen, die auf zwei Menschen warten können, die sich aneinanderbinden, oder die Familien begleiten, in den Kinder aufwachsen, älter werden und lernen, ihren eigenen Weg zu gehen. Vielmehr ist es mein Anliegen, junge Menschen, aber auch lang verheiratete Ehepaare zu ermutigen, in ihrer Partnerschaft das Glück für ihr Leben zu suchen und zu finden. Darum ist Erntedank ein guter Anlass, einfach Dank zu sagen, dass Partner einander haben und ihnen von Gott her zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit gegeben wird, das miteinander glücklich zu sein und es in jeder Altersstufe immer neu zu werden.
Es ist m.E. auch eine Pflicht der Kirche, Dank zu sagen für das Geschenk von Ehe und Familie, in denen Kinder noch immer lernen, was für das Leben wirklich zählt und was sie stark macht für die Zukunft. Ehe und Familie sind heute vielgestaltig geworden, aber sie bleiben die beiden Quellen des Glücks und der Zukunft des Menschen.
Vielleicht nehmen Sie in diese Woche die Frage mit „Was macht mein Leben reicher?“ Schön wenn Ihnen dann als erstes die Menschen einfallen, die sie lieben und die für sie da sind. Sie spiegeln Gottes unbegrenzte Liebe zu uns Menschen wider. Amen.
(Sven Johannsen, Pfr.)
Predigt_27._Sonntag_B_Erntedan_Was_mein_Leben_reicher_macht.pdf
26. Sonntag B "Against all Gods - Die Glaubens-WG
Predigt 26. Sonntag B „Against all Gods – die Glaubens-WG“
Liebe Schwestern und Brüder
Ziehen ein Muslim, eine Katholikin, ein Jude, eine Hindu, ein Buddhist und eine Atheistin in eine gemeinsame WG – Nein, so beginnt kein Witz mit lustiger Pointe. Das ist in kurzen Worten der Rahmen für die Doku-Serie „Against all Gods“, die zurzeit Sonntagmorgens im ZDF ausgestrahlt wird.
Gloria, eine sorbische Katholikin und regelmäßige Kirchgängerin, Lars, gläubiger Jude, Jurastudent und Musiker, Omar, praktizierender Muslim und ausgebildeter Erzieher, Saghita, Buchhalterin und Hinduistin, begeisterte Tempeltänzerin, Dharmasara, eigentlich ohne Religion in Ostdeutschland geboren, aber nach einem Japan-aufenthalt Buddhist geworden, und schließlich Josimelonie, Influencerin, Transfrau und Atheistin, die Religionen für die Ursache der Konflikte und Kriege hält, ziehen für sechs Tage in eine Wohngemeinschaft in Berlin und verbringen eine Woche unter einem gemeinsamen Dach mit dem Ziel, nicht übereinander, sondern miteinander zu reden. Alle sind zwischen Mitte 20 und Anfang 30, also junge Menschen, die sich bewusst für ein Leben mit ihrer Religion bzw. Weltanschauung entschieden haben. Die Autorin der Reihe, Katharina Reinartz, erklärt die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: „Wir wollten, dass es Menschen sind, die ganz fest in ihrem Glauben stehen, sehr überzeugt sind von ihrem Glauben, aber dass man trotzdem den Eindruck und die Überzeugung bekommt, das sind trotzdem Menschen, die im Jahr 2024 leben. Es ist nicht schwarz und weiß, es gibt ganz viel Grau.“ (www.domradio.de v. 1.9.2024). Begonnen hatte das „Religions- und Toleranz-Experiment“ mit einem Abendessen. Die Protagonistinnen und Protagonisten wurden in ein Restaurant eingeladen zu einem festlichen Menü. Die Redakteure wollten sehen, ob überhaupt ein Gespräch zwischen ihren Gästen entsteht oder ob sie sich ignorieren und anschweigen. Am Ende wurde es zu einem Abend, „von dem man sich wünscht, dass er nicht endet“: lustig, interessant und weiterführend. So wagten die Macher den Schritt und luden zu dieser ungewöhnlichen Wohngemeinschaft ein. Es wurde keine extravagante Variante von Big Brother, in der gläubige Menschen als Fanatiker in der Öffentlichkeit bloßgestellt werden sollten, sondern ein Sozialexperiment mit Tiefe, Dichte und gesellschaftlicher Relevanz. Natürlich war nicht alles eitel Sonnenschein. In der ersten Folge wurden die TeilnehmerInnen mit der Frage konfrontiert: „Ist mein Glaube der einzig richtige?“ Sie haben nicht einfach abgewiegelt, dass es egal ist, welchen Glauben man hat, sondern sich dazu bekannt, dass sie ihren Glauben als wertvoll und passend für sich sehen. Sie teilen die Grundhaltung: Für mich ist der Glaube richtig, ich bin in ihm verwurzelt, aber ich urteile nicht über die Vorstellung der anderen. Es gab auch ernste Auseinandersetzungen um manche Themen, die die Redakteure als Impuls in das Gespräch der Gruppe warfen. Manchmal war die Diskussion vorprogrammiert, z.B. bei der Diskussion zwischen der gläubigen Katholikin Gloria und der atheistischen Transfrau Josy um die Ehe für Alle. In einer der letzten Folgen drohte der Streit zwischen dem Muslim Omar und dem Juden Lars angesichts der Nahost-Konfliktes zu eskalieren. Dennoch, so die Macher, hat sich gezeigt, dass man sich an einen Tisch setzen und Themen ausdiskutieren kann. Katharina Reinartz zieht über die Glaubens-WG das Fazit: „Es zeigt auch, dass es irgendwie mehr gibt, was einen eint, als die Dinge, die einen trennen. Das war total schön zu sehen. Aber ja, es gab Streit und den sollte es auch geben, den durfte es geben. “
Was mit Blick auf die gewalttätigen Konflikte und brutalen Terrorakte, die oft im Namen der Religion ausgeübt werden, kaum vorstellbar scheint, beweisen sechs junge Menschen: Ein friedliches Zusammenleben der Religionen ist möglich. Die junge Katholikin Gloria beschreibt auf der Homepage des ZDF ihre Haltung so: „Als Katholikin vertrete ich eine konservative Glaubensrichtung. Ich glaube, das kann bei vielen erst mal auf Unverständnis treffen. … Ich hoffe, dass man sich verträgt, obwohl man unterschiedliche Glaubens-hintergründe hat – ich finde, das ist ein sehr wichtiges Zeichen in der heutigen Gesellschaft. Es geht nicht darum, dass alle gleich sein sollen, sondern dass Vielfalt ein gutes Miteinander hervorbringen kann."
„Wer nicht gegen uns ist, ist für uns“, so bremst Jesus im heutigen Evangelium die übereifrigen Jüngerinnen und Jünger aus, die gegen einen Heiler vorgehen wollen, der im Namen Jesu Machttaten vollbringt, aber nicht zu ihrer Gruppe gehört. Vielleicht ist Ihnen eine Feinheit in der Erzählung aufgefallen: Die Jünger zeigen bei Jesus an, dass jemand in seinem Namen Dämonen austreibt und dass sie versucht haben, ihn daran zu hindern. Ihre Begründung dafür lautet aber, dass er „uns“ nicht nachfolgt und nicht, dass er „dir“ nicht nachfolgt. Es geht nicht darum, dass dieser Mensch nicht Jesus anerkennt, sondern dass er nicht der Jüngergruppe folgt und somit in ihre Kompetenz eingreift. Deshalb wollen die Jünger den Heiler stoppen. Die Jünger stehen wie in der ersten Lesung Josua für Abgrenzung, Jesus aber nimmt die Tradition des Moses auf und lehrt sie Weite. Er hat keine Angst vor Menschen, die nicht in seiner Nachfolge stehen, wenn sie sich für das Gute einsetzen und Menschen Gutes tun. Er öffnet seine Jünger für die Einsicht, dass das Ziel des Evangeliums nicht die Vergrößerung des Einflusses der Jüngergruppe, also der Kirche, sein kann, sondern das Anliegen, die Frage nach Gott in der Welt wachzuhalten. Dafür verbindet er sich mit Menschen, die auf den ersten Blick nicht viel mit ihm zu tun haben, aber sich einsetzen für die gleiche Idee. Gerade in unserer Zeit, in der Exklusivrechte an der Wahrheit sehr energisch von Einzelpersonen, gesellschaftlichen Gruppen und Parteien reklamiert werden, lädt die Haltung Jesu zu Gelassenheit und Weite ein. In einer Kirche, in der entgegengesetzte Strömungen einander gerne das Attribut „katholisch“ streitig machen, mahnt er zur Einsicht, dass es nicht um die Gruppe, Richtung oder Lehre geht, sondern um die heilende und befreiende Erfahrung Gottes im Leben von Menschen. Dafür hat das Evangelium immer schon Sympathisanten auch außerhalb des engeren Kreises der Christgläubigen gefunden. Einer der berühmtesten Jesusverehrer war Mahatma Gandhi, der in Jesus einen der größten Lehrer der Menschheit erkennen konnte und sein Evangelium der Seligpreisungen zur Orientierung für seinen Weg der Gewaltlosigkeit nahm, aber niemals ihn als Gott anerkannte. Schon Mose konnte erkennen, dass der Geist Gottes weht, wo er will, und nicht nur dort, wo wir ihn haben möchte. Jesus fordert daraus eine Haltung, die ich in der Glaubens-WG wiedererkenne, die das Gute in den anderen Menschen, ob religiös oder humanistisch geprägt, anerkennt und teilt, ohne dass ich meinen eigenen Glauben verleugnen muss.
Während der erste Abschnitt des heutigen Evangeliums diese Perspektive der Weite verkündet, scheint dagegen der zweite Abschnitt gegenteilig zu argumentieren. Er wirkt streng und rigid. Das Abschneiden von Körperteilen und Gewalt gegen sich selbst erscheinen uns als Praktiken fanatischer Strömungen und nicht als Ausdruck christlichen Verhaltens. Selbstverstümmelung um des Reiches Gottes willen wurde immer von der Kirche abgelehnt. Diese radikalen Aufforderungen Jesu werden nur verständlich von Jesu Sorge um „die Kleinen“ her, mit der er diesen zweiten Teil einleitet. „Die Kleinen“ sind die Menschen, die an ihn glauben und die ernst machen mit der Aufforderung vom letzten Sonntag „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ Jesus hat die Menschen im Blick, die ihm mit Ernsthaftigkeit nachfolgen wollen. Sie sind unantastbar. Niemand darf sie im Glauben verunsichern oder für sich vereinnahmen. Sie wollen der Weisung Jesu folgen. Niemand darf diese durch eigene Lehren verwässern oder radikalisieren. Weder durch Anpassung an den Zeitgeist noch durch übertriebene Strenge dürfen Lehrer und Leiter in der Kirche den Blick auf die wahre Absicht Jesu verstellen und so Menschen in ihrem Glauben erschüttern. Es geht Markus im Evangelium um den Frieden in der Gemeinde, der durch Egoismus gestört werden kann. Wo der Blick auf den Willen Jesu verstellt wird durch Parteiungen und Eigeninteressen leidet der Leib Christi, wie Paulus die Kirche beschreibt. Es geht in diesen radikalen Forderungen nicht um moralische Perfektion, sondern darum, dass die Einheit in der Gemeinde Jesu gewahrt bleibt. Wir sollen einander im Glauben und Vertrauen an Gott stärken und nicht erschüttern. Diese Aufgabe ist gleichsam die Innenperspektive der Glaubensstärke, die erst die Haltung der Weite, die Jesus im ersten Teil fordert, möglich macht.
Paulus sagt seiner Gemeinde in Korinth zu: „Wir sind ja nicht Herren über euren Glauben, sondern Helfer zu eurer Freude. Denn im Glauben seid ihr stark.“ Für eine Gemeinde ist diese Sicht eine Richtschnur: Wir haben dem anderen nicht unseren Glauben aufzuzwingen, sondern einander im Glauben stark zu machen durch unsere Gemeinschaft im Gottesdienst, durch Gespräche und ein einladendes Gemeindeleben, das viele Menschen einlädt und offen ist für die Bereicherung auch durch Menschen, die von außen kommen. Unter Gottes Dach haben viele Platz. Amen. Sven Johannsen, Pfarrer
25. Sonntag B Warum gibt es Krieg
Predigt 25. Sonntag B – 22.9.2024 „Warum gibt es Krieg“
Liebe Schwestern und Brüder
Muss ein Kind wissen, was eine Streubombe ist? Wie die Nato aufgebaut ist? Ob Soldatinnen und Soldaten auch Angst haben? Vielleicht spüren Sie wie ich eine innere Hemmschwelle bei der Frage, ob man mit Kindern über das Thema „Krieg“ reden soll? Ich bin als Pfarrer 25 Jahre an Grundschulen und KiTas tätig und natürlich waren „Frieden“ und „Gerechtigkeit“ immer zentrale Themen im Unterricht. In der Regel aber standen nicht die Kriege und Konflikte im Mittelpunkt, sondern Geschichten über Toleranz, Geschwisterlichkeit, Versöhnung als Lösungswege im Vordergrund. Ein neues Vorlese- und Bilderbuch der renommierten Psychologin Elisabeth Raffauf (Wann ist endlich Frieden, Sauerländer 2023) für Grundschulkindern fokussiert sich v.a. auf die Themenfelder „Krieg“, „Flucht“, „Terror“, „Angst“. Das Kinderbuch wird von der Presse sehr gelobt und ist nur ein Beispiel für ein wachsendes Segment im Bereich Bilderbücher. Die Sprache ist sachlich und leicht verständlich, aber auch klar und beschönigt nicht. In einem Glossar nimmt die Autorin Worte auf, die Kinder im Augenblick in Gesprächen oder in den Medien aufschnappen, so dass „Sexuelle Orientierung“, „Drohne“, „Panzerhaubitze“ neben „Demokratie“, „Solidarität“ und „Grundgesetz“ stehen. Noch vor einigen Jahren hätten wir Begriffe wie „Amok“, „Streu-bombe“ oder „Bündnis“ allein dem Wortschatz von Erwachsenen Menschen zugeordnet, aber spätestens seit den Konflikten in Syrien, in der Ukraine und im Gaza-Streifen lassen sich die großen Konflikte vor Kindern nicht mehr verheimlichen. Sie verunsichern Kinder genauso wie Erwachsene. Vielleicht mussten Sie selbst auch schon versuchen, Ihren Kindern, Enkeln oder gar Urenkeln zu erklären, warum es in der Welt so viel Gewalt gibt und so viele Menschen aus ihren Heimatländern flüchten müssen, weil sie Opfer von Krieg und Terror wurden. Dann waren und sind Sie mit der Grundfrage konfrontiert, die der Autor des Jakobusbriefes heute aufwirft: „Woher kommen Kriege bei euch, woher Streitigkeiten?“
Auch in einer Gemeinde, die ganz vom Geist Jesu und der Seligpreisungen erfüllt sein sollte, gibt es Konflikte und Menschen sind konfrontiert mit Gewalt, Terror und Krieg, die sie verunsichern und verängstigen. Dem Apostel ist bewusst, dass keines seiner Gemeindemitglieder verantwortlich für einen Kriegsausbruch ist. In der frühen christlichen Gemeinde sammeln sich nicht große Staatsmänner. Dennoch konfrontiert er seine Leser und Zuhörer in der Suche nach einer Antwort mit ihren eigenen Schwächen: Es gibt Eifersucht und Streitsucht. Im Grunde sind Konflikte auf allen Ebenen auf diese beiden Übel zurück-zuführen, denn sie schaffen Unordnung und Feindschaft und schwächen Gerechtigkeit und Bescheidenheit, also die Eigenschaft, dem anderen zu gönnen, dass er Glück hat oder mehr besitzt als ich. Natürlich erscheinen uns diese Antworten etwas naiv. Weltpolitik, gerade im Nahen Osten, ist komplexer, aber letztlich sind es doch immer wieder die gleichen menschlichen Schwächen, die in einem undurchschaubaren Netz von nicht auflösbaren Knoten durchschimmern: Angst vor dem Fremden, der mein Wohlergehen bedroht, Eifersucht auf den Nachbarn, dem es scheinbar besser geht als mir, und der Wille, sein „Recht“ durchzusetzen und zu erreichen, was einem nach eigener Vorstellung zusteht, ggf. auch auf Kosten des Anderen, dem es dann schlechter geht. Die Versuchung, diesem Denken zu erliegen, macht auch vor dem gläubigen Menschen nicht halt. Daran erinnert die erste Lesung aus dem Buch der Weisheit. Auch die Frevler in der Lesung waren einmal gläubig und kennen den Willen des Herrn. Das Buch der Weisheit richtet sich an Juden in der Diaspora. Viele leben jetzt im Milieu einer anonymen Großstadt und haben ihre religiösen Wurzeln gekappt. Es zeigt sich, dass man auch ohne die Einschränkungen durch biblische Vorgaben glücklich werden kann, ja sogar erfolgreicher in wirtschaftlichen Dingen, wenn ich Skrupel hinter mir lasse und Grenzen überschreite, die die Gebote Gottes gesetzt haben. Der, der Gott überwunden hat, triumphiert offensichtlich über den „Treuen“, der sich an die Gebote hält und Rücksicht übt. Die Grundvoraussetzung ist für beide gleich: Die Güter der Welt sind begrenzt und das Leben ist endlich. Die Wege auf diese Erkenntnis zu reagieren, unterscheiden sich aber wesentlich. Ich kann aus der Begrenztheit der Welt und des Lebens schließen, dass ich das Beste für mich rausholen und mitnehmen muss, was mitzunehmen geht. Dann muss ich zwangsläufig auf Kosten der anderen Menschen leben, die sich wehren werden, so dass es zu Streit und Krieg kommt. Oder ich sehe die Begrenztheit in einem größeren Horizont, nämlich im Rahmen der Ewigkeit Gottes, die die Angst überwindet, zu kurz zu kommen. Bescheidenheit erwächst nicht aus der Angst vor Gottes Strafe, sondern ist Ausdruck von Weisheit, wie es die beiden Lesungen nahelegen. Bescheidenheit ist gelebte Hoffnung, die über das unausweichliche Ende hinausschreitet. Dem Jakobusbrief liegt die Überzeugung zugrunde, dass der richtige Glaube den richtigen Lebenswandel braucht. Der Mensch, der an die Auferstehung Jesu glaubt, kann nicht im Tod die letzte Station sehen, an der sich entscheidet, ob mein Leben erfolgreich war. Jakobus geht es um ein gutes und gelingendes Leben. Das aber gedeiht nur in Übereinstimmung mit der „Weisheit von oben“, also jenem inneren Wissen des Herzens, dass es ein Mehr gibt, als alle irdischen Überlegungen uns erkennen lassen. Es gibt Zeichen für das Leben in Fülle, das Gott uns bereithält, und wenn das Herz sie angemessen deutet und bedenkt, kommt es zu der Hoffnung, die das Leben, das Leid und den Mangel überschreitet. Eifersucht und Streit hängen wesentlich mit einer verkürzten Sicht unseres Lebens zusammen. Die Weisheit von oben, die Gelassenheit schenkt, öffnet für einen größeren Blick. Es geht nicht um Vertröstung, sondern um Versöhnung schon in diesem Leben, die dem Menschen die Bitterkeit aus dem Herzen nimmt und ihn zum Frieden fähig macht.
Kehren wir zurück zur Ausgangsfrage: Soll man mit Kindern über Krieg reden? Ganz sicher darf man ihnen nicht Antworten auf Fragen aufzwingen, die sie nicht gestellt haben, aber man darf ihnen keine Antwort verweigern auf die Fragen, die sie haben. Ausflüchte oder Abwiegeln wie z.B. „Das verstehst du noch nicht“ helfen nicht. Kinder treffen in unseren Kitas und Schulen Geflüchtete, die Schreckliches erlebt haben. Sie spüren die Sorgen und Ängste ihrer Eltern. Sie ahnen auch, dass die Bedrohung für uns selbst real geworden ist. Kinder brauchen einen Raum für Ihre Eindrücke, Fragen und Ängste. Sie dürfen auch erleben, dass wir Erwachsenen Angst haben, aber sie merken schnell, wenn man sie nicht ernst nimmt oder sie täuscht. Die Psychologin Elisabeth Raffauf, deren Buch nicht beim Krieg stehen bleibt, sondern Wege aufzeigt, wie Frieden gelingen kann, schreibt im Nachwort: „Wenn Kinder etwas in Worte fassen können, macht es sie sicherer und stärker. Das gilt auch für schwierige, angstmachende Ereignisse.“
Für mich kommt noch eine zweite Perspektive hinzu, die unseren Glauben, die Weisheit von oben, betrifft. Der Theologe und Therapeut Peter Wendl schreibt in einem Beitrag für Christ in der Gegenwart: „Die Art und Weise, wie Erwachsene mit schwierigen Themen umgehen, hat Vorbildfunktion und gibt Kindern Orientierung. Angst, die nicht kommuniziert wird, macht hilflos und handlungsunfähig. Das Angst-machende zu verdrängen, reduziert langfristig keine Belastung, übrigens in keinem Lebensalter.“
Unser Reden und Verhalten zeigen, ob wir Panik oder Gelassenheit in uns tragen. Wir können auch im Gebet für Menschen in Kriegssituationen zeigen, ob wir Hoffnung haben oder nicht. Ich bin nicht sicher, ob Kinder wissen müssen, was Streubomben sind, aber wohl sollen sie merken, ob wir in dieser bedrohten Welt Menschen der Zuversicht sind. Kinder können aus unserem Gottvertrauen herauslesen, ob wir Menschen der Hoffnung sind oder ob wir schon alle Hoffnung verloren haben und nur noch um das Überleben kämpfen. Es ist die Weisheit von oben, nicht vorgetäuschte Zuversicht, wenn wir daran glauben, dass Frieden möglich ist und diese Hoffnung vorleben. Amen
Sven Johannsen, Pfr.
24. Sonntag B Geduld mit Gott
Predigt 24. Sonntag im Jahreskreis "Geduld mit Gott"
Liebe Schwestern und Brüder
Es gibt Menschen, mit denen muss man viel Geduld haben: Kinder, denen Eltern hundertmal erklären, wie man sich am Essenstisch verhält; Schülern, denen der Lehrer immer wieder versucht, die Geheimnisse der Mathematik oder der lateinischen Sprache zu erschließen; Lehrlinge, die sich schwertun mit Abläufen und Prozessen. Manche Menschen strapazieren unsere Geduld über die Maßen: nervige Nachbarn, die immer wieder die Grenzen der erträglichen Lautstärke überziehen; geschwätzige Mitmenschen, denen man eigentlich aus dem Weg gehen will, weil man sonst zum Opfer von langen Tratsch-Geschichten wird; Hypochondern, die uns mit ihren (eingebildeten) Krankheiten die Zeit stehlen. Wenn man nicht ständig kurz vor dem Explodieren stehen will, muss man mit den Menschen Geduld haben. Muss ich auch mit Gott Geduld haben?
Das klingt ungewöhnlich. Aber eben diesen Titel hat schon vor einigen Jahren der Priester und Religionswissenschaftler Thomas Halik einem Buch über die Geschichte des Zachäus gegeben: „Geduld mit Gott“ (Herder-Verlag Freiburg; 5. Auflage 2012). Er beginnt sein Buch provokant mit dem Eröffnungssatz: „Mit Atheisten stimme ich in vielen überein, in fast allem – außer ihrem Glauben, dass es Gott nicht gibt“ (Thomas Halik; Geduld mit Gott, Freiburg 2012; S. 9) Thomas Halik misstraut fundamentalistischen Strömungen im Christentum, die immer alle Fragen gelöst sehen wollen. Vielmehr muss er feststellen: „Mit Atheisten bestimmter Prägung kann ich die Wahrnehmung der Abwesenheit Gottes in der Welt nachvollziehen.“ Er schränkt dann aber ein: „Ich erachte ihre Deutung dieses Gefühls jedoch für übereilt – nämlich für einen Ausdruck von Ungeduld.“ Wenn es im Horizont des Glaubens um die großen Fragen des Lebens geht, v.a. um die Frage nach dem Leid, dann treffen wir in der Regel auf zwei konkurrierende Antworten. Die eine versucht Gott freizusprechen und die Schuld für das Leid beim Menschen zu suchen oder zu vertrösten auf eine bessere Welt. Die andere sieht im Leid einen Beweis, dass es einen guten und allmächtigen Gott nicht geben kann. Beide Wege versuchen letztlich, das Problem der Frage nach Gott angesichts des Dunkels und des Leids sofort zu lösen. Aber Gott ist kein Problem, das sich uns stellt und wir beseitigen müssen, sondern ein Geheimnis, in dem wir verweilen und das wir aushalten. Das ist die Perspektive eines reifen Glaubens. Weder ist die Leugnung Gottes ein Zeichen von besonderer Intelligenz, noch ist seine fanatische Rechtfertigung ein Ausdruck besonderer Frömmigkeit. Beide offenbaren die Ungeduld, die dem Geheimnis des Lebens nicht gerecht wird. Thomas Halik schriebt „Das Schweigen Gottes und die beklemmende Gottesferne bedrängen oft auch mich… Ich kenne drei (tief miteinander verbundene) Arten von Geduld angesichts der Abwesenheit Gottes: es sind dies Glaube, Hoffnung und Liebe.“
Muss man mit Gott Geduld haben? Fragen wir heute den Petrus im Evangelium.
Er ist im Markus-Evangelium nie nur einfach eine historische Person, sondern immer ein Modell des Glaubens, der Beziehung zwischen Gott und dem Jünger / der Jüngerin Jesu. Er begibt sich heute auf eine Achterbahn seiner Gefühle und seines Verhältnisses zu Jesus. Wir erleben ihn als den glaubensstarken Sprecher der Kirche gegenüber ihrem Herrn und nur wenige Zeilen später als den Kontrahenten Jesu, der ihn anherrscht und von ihm scharf zurechtgewiesen wird. Wie konnte es zu diesem Stimmungsumschwung kommen? In der Ungeduld, von der Halik redet, finde ich die Antwort.
Er ist der treue Zeuge. Die Szene in Caesarea Philippi ist uns noch mehr vertraut aus der Schilderung des Matthäus, der dem Bekenntnis des Petrus „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ die Zusage Jesu folgen lässt: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ (vgl. Mt 16,18). Die Jünger haben viel mit Jesus erlebt. Der Weg um den See Genezareth war gefüllt von Heilungen, Wundern, Redeschlachten mit den stets unterlegenen Pharisäern und Schriftgelehrten und einer neuen Erfahrung von Gemeinschaft, so dass sie bereits den Anbruch des Reiches Gottes spüren konnten. Petrus fasst diese Überzeugung all derer, die Jesus folgen, zusammen und spricht für sie und uns das Bekenntnis: „Du bist der Gesalbte Gottes, der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Mit dir leben wir schon in einer neuen Wirklichkeit.“ Es gibt Phasen der Sicherheit im Glauben, in denen wir uns Gott ganz nahe fühlen: Augenblicke des Gebetes, stimmungsvolle Gottesdienste, Erfahrungen in der Natur, Glücksmomente in der Familie und in der Partnerschaft. Immer dann, wenn alles im Lot ist, wissen sich Menschen Gott sehr nahe, ahnen bereits etwas von seinem Himmel. Kein Wunder, dass Petrus sich nicht aus dem Reich Gottes vertreiben lassen will, das er schon betreten hat. Der Gedanke, dass alles zusammenbrechen könnte und das Böse neu siegen kann, ist unvorstellbar. Er hört aber nicht richtig hin. Das letzte Wort in der Leidensankündigung Jesu, das die Auferstehung als Ziel vorgibt, kommt bei ihm nicht an, weil die Vorhersage des Leidens und des Todes ihn aus der Bahn zu werfen drohen. Wie kann der, den er gerade als Sohn Gottes bekannt hat, den Weg des Leidens und der Ohnmacht gehen. Das ist in seiner Gottesvorstellung schon nicht nachvollziehbar, noch mehr aber fordert es ihn heraus in seinem Vertrauen in Jesus. Kein Mensch will, dass ein anderer Mensch leiden muss, v.a. nicht, wenn er uns in Liebe verbunden ist. Die erschreckte Reaktion des Petrus ist emotional nachvollziehbar. Aber sie geht noch weiter: Das Kreuz ist für ihn nicht der Weg des Messias. Zu sehr hängt er noch am Bild des starken Gottesmannes, der mit eiserner Faust dreinschlägt, die Römer rauswirft und in Israel aufräumt, indem er die Gerechtigkeit wiederherstellt. Petrus sieht diese Hoffnung als ein Nahziel. Der Weg nach Jerusalem muss für ihn automatisch zum letzten Zweikampf zwischen Gott und den Bösen führen, den Jesus für sich und so zum Wohl der Menschen entscheidet. Er hat keine Geduld. Aber genau die fordert Jesus als Zeichen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe ein. Nur durch das Kreuz kann der Weg zum Ostermorgen führen. Ohne sich dem Leid zu stellen, kann das Leben in Fülle nicht Wirklichkeit werden. Das ist für den Kopf nachvollziehbar, aber dem Herzen fällt es schwer, das Leid als Größe akzeptieren zu müssen. Glaube ist nicht nur eine Sache des Kopfes, der die Inhalte systematisiert, sondern v.a. eine Herzenssache, weil dort die Brücke zwischen unserem Erleben und unserer Hoffnung geschlagen wird.
Ich kann in meinem Glauben lange sicher stehen, aber im nächsten Moment Gott als fern und verborgen erleben. Dann aber braucht es viel Geduld. Wir können Gott nicht durch Gebete und ein gutes Leben bestechen. Das Leid ist ein Problem, aber es ist in unserer Welt und in unserem Leben allgegenwärtig. Wir sind mit ihm konfrontiert im Blick auf das Weltgeschehen voller Ungerechtigkeit und Katastrophen, aber auch im persönlichen Umfeld und im eigenen Leben. Jeder von uns sieht in seinem engsten Familien- und Bekanntenkreis Leid, das Mensch heimgesucht hat und zu zerbrechen droht: Krankheiten, Krisen, Konflikte, v.a. in der Partnerschaft und in der Familie, Trennungen, wirtschaftliche Sorgen… Immer stellt sich die Frage nach dem Warum? Petrus würde gerne ein Nein zum Leid sprechen, aber das ist unrealistisch. Jesus will das Leid sicher auch nicht, aber er nimmt es bewusst an und gibt ihm so einen Sinn. Wir treffen Jesus später am Ölberg, dem Ort, an der er selbst existenziell mit der Frage nach dem Leid konfrontiert ist und mit Gott ringt: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ (Mt 26,39) Er kann Sinn finden, weil er weiß, dass sein Tod das Tor zur Auferstehung und zum Leben ist. Ohne diese Hoffnung wird Leid zur sinnlosen Qual. Petrus möchte das Leid vermeiden, aber das ist nicht möglich. Jesus will, dass wir im Leid eine Schule des Lebens sehen, die uns feinfühliger und hoffnungsvoller macht. Das Dunkle ist ein Teil des Lebens, den ich nicht ausblenden kann, aber das ich überwinden kann durch die helle Hoffnung auf die Fülle des Lebens. Die Geduld des Glaubens mit Gott ist die Liebe, die vertraut, dass Gott mir nichts Böses will, und die Hoffnung, die sicher ist, dass alles Finstere überwunden wird und wir zum Leben bestimmt sind. In einer Betrachtung zum heutigen Evangelium formuliert es Kardinal Christoph Schönborn treffend: “Wir müssen alles uns Mögliche tun, um Leid zu lindern. Ganz verhindern können wir es nicht. Wir können es aber mittragen. Das tut Gott selbst. Denn Jesus steht auf der Seite der Leidenden.“ (Hat Leiden einen Sinn? (erzdioezese-wien.at)
Ein gelungenes Modell geduldigen Glaubens kann ich im „Superstar der Heiligen“, im Heiligen Franziskus erkennen. Wir erinnern uns heute daran, dass er vor genau 800 Jahren um das Fest Kreuzerhöhung herum die Wundmale Jesu eingeprägt bekam. Er war zu diesem Zeitpunkt schon schwer krank und von Schmerzen geplagt. Aber diese tiefe Erfahrung der Verbindung mit dem Gekreuzigten mündete für ihn in ein Lied der Hoffnung, den Sonnengesang, den er kurze Zeit später verfasste. Der kranke und gezeichnete Franziskus hebt an und lobt Gott mit allen Geschöpfen: „Laudato si, o mi Signore“ „Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen…“ Am Ende wird er sogar den letzten Schritt gehen und Gott preisen durch das Leid: „Gelobt seist du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen und Krankheit ertragen und Drangsal. Selig jene, die solches ertragen in Frieden, denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt.“ Es ist ein Lob auf Gott, das einen langen Atem braucht. Amen (Sven Johannsen, Pfr.)
23. Sonntag B - Einführung
Predigt 23. Sonntag im Jahreskreis / Mariä Geburt
Einführung in der PG Würzburg Ost
Liebe Schwestern und Brüder
„Das fünfte Evangelium“, so hat schon vor vielen Jahrzehnten der Benediktinerpater und Archäologe Bargil Pixner treffend das Heilige Land beschrieben. Jeder, der einmal in Israel war, kann das nachvollziehen. Biblische Texte, aber auch kirchliche Feste bekommen eine ganz neue Verwurzelung, wenn zum Hören und Feiern die Erinnerung an die besuchten Stätten aufleuchten. Israelpilger können die Seligpreisungen nicht hören ohne sofort wieder an den wunderbaren Blick über die Hänge durch die Palmen- und Rosengärten, die liebevoll von italienischen Schwestern gepflegt werden, auf den silbern glitzernden See zu denken.
Es gibt Orte und Wege im Heiligen Land, die vergisst man nie. So verhält es sich auch mit dem heutigen Festtag Mariä Geburt. Er erinnert an den Weihetag einer Kirche in Jerusalem. Einer der klassischen Pilgerpfade führt von der Paternoster-Kirche auf dem Ölberg im Osten der Heiligen Stadt Jerusalem an den jüdischen Gräbern und der Kirche der Nationen vorbei hinab ins Tal Joschafat, dem Ort, der nach jüdischer Tradition einmal Schauplatz des jüngsten Gerichts sein wird, und steigt dann vom Mariengrab hinauf zum Löwentor in die Altstadt. Nur wenige Meter, nachdem man das Tor passiert hat, sieht man links den Zugang zum Tempelberg für Muslime und rechts eine lange Klostermauer, die seit über 150 Jahren französisches Staatsgebiet umfasst. Betritt man durch das kleine Tor das Areal im Inneren dann liegt vor dem Besucher nicht nur der Teich Betesda, der aus den Evangelien bekannt ist, vielmehr erhebt sich eine der schönsten, vielleicht die schönste Kirche des Heiligen Landes, die der Großmutter Jesu geweiht ist: die Annakirche. Sie ist das wohl am besten erhaltene Gotteshaus der Kreuzfahrerzeit, ein Glück, das auch dem Umstand zu verdanken ist, dass Saladin aus Achtung vor Maria und Anna die Kirche nicht zerstören ließ, sondern zur Moschee umwandelte, was sie dann auch gut 700 Jahre war. Nüchtern in der Dekoration ist es der elegante Raum mit seiner einzigartigen Akustik, der die Annakirche zu einem der schönsten und besinnlichsten Orten in der hektischen Jerusalemer Altstadt macht. Hier atmet jeder Stein Frieden. In der Kirche führt seitlich eine kleine Treppe in die Krypta, eigentlich ein Gewirr von Gängen und Grotten, die aus dem Felsen gehauen wurden. Dort lokalisiert die christliche Tradition seit langer Zeit den Ort der Geburt Mariens. Die Annakirche ist also nach Jerusalemer Tradition das Elternhaus der Gottesmutter. Ich weiß, dass das heutige Jerusalem nur wenig mit der Stadt zu tun hat, die Jesus am Palmsonntag betrat, aber ich finde den Gedanken faszinierend, dass er am Beginn der Heiligen Woche nicht nur in eine ihm als Galiläer fremde und feindlich gesinnte Hauptstadt kam, sondern nur wenige Schritte nach dem Einzug auf ein Haus getroffen sein muss, das ihn an seine Familie erinnerte. Wir finden in den vier Evangelien keinerlei Hinweise auf die Großeltern Jesu und die Geburt seiner Mutter. Es ist das sog. Protoevangelium des Jakobus, das uns von Anna und Joachim und ihrem Schicksal der langen Kinderlosigkeit erzählt. Wie schon im Fall der Erzeltern Abraham und Sara leiden beide unter dem nicht erfüllten Wunsch nach einem Kind, bis ein Engel ihnen ankündigt, dass sie Eltern eines besonderen Kindes werden. Die Annakirche soll gemäß einer Jahrhunderte alten Tradition der Ort der Geburt und der ersten Lebensjahre Mariens gewesen sein. Dann wäre Jesus noch vor der heutige via dolorosa beim Betreten der Heiligen Stadt also vor einem Haus gestanden, das ihn mit Menschen verbindet, die sein Leben prägte und an die er vielleicht gute Erinnerungen hatte. Wir wissen nicht, ob Jesus seine Großeltern überhaupt gekannt hat, aber erzählt wird man von ihnen haben. Vielleicht aber ging es ihm auch so wie manchem von uns: Bei den Großeltern war es immer am schönsten. Dort hat alles besser geschmeckt und man durfte viel mehr. Großeltern waren immer perfekt und in der Erinnerung die Menschen, die nicht so streng und ungerecht waren wie die Eltern. Sie erzählen von unserer Verwurzelung und unserer Herkunft. Sie stehen für das, was wir mit dem Begriff „Heimat“ bezeichnen. Heimat ist kein Ortsschild oder ein Haus aus Steinen, sondern ein Mosaik von Menschen, Erfahrungen und Erlebnissen, die uns bis ins hohe Alter prägen. Heimat ist kein Kampfmittel, das Populisten missbrauchen dürfen, um Menschen, die ihnen fremd erscheinen, auszugrenzen, sondern eine Prägung, die ein Mensch braucht, damit er in der Weite und Komplexität der Welt bestehen kann. Ich brauche Werte, Vorbilder, Beziehungen, Orte, an die ich mich zurückbinde, um neue Weg in meinem Leben zu betreten. Der evangelische Theologe Friedrich Schorlemmer hat in einem Gespräch mit der ZEIT die pointierte Beschreibung gefunden: „Heimat ist der Ort, an den die Seele gern zurückkehrt.“ (Die Zeit 29/2021)
Es geht um mehr als Häuser, Traditionen, Dialekte oder Vereine, es geht um die Wurzeln meiner Persönlichkeit, meines Selbst, wie ich geworden bin, wer ich bin. Daran erinnert uns die Kirche, die mit dem heutigen Festtag verbunden ist.
Im Laufe meines Studiums und meiner Tätigkeit als Pfarrer bin ich überschüttet worden mit Definitionsversuchen von dem, was Gemeinde ist. Historiker erklären, dass die Pfarrei nichts anderes war als eine Verwaltungseinheit. Das erinnert schon ein wenig an die genialen Umstrukturierungsversuche durch die diversen Diözesanleitungen in unserem Land. Pastoraltheologen reduzieren Gemeinden z.B. auf das Bild der „Berghütte“, gleichsam eine Art Tankstelle für die Seele, dich ich aber wieder hinter mir lasse. Ich hänge weiterhin an der Identifikation von „Gemeinde“ und „Heimat“. Gemeinde ist nicht in erster Linie das Pfarrbüro, in dem ich Dokumente und Bestätigungen bekomme, und sie ist nicht nur eine kurze Rast, damit das Herz zur Ruhe kommt in einer vorläufigen Erfahrung der Stille, sondern ein Ort und eine Gemeinschaft, die mich prägen will. Sie ist im besten Fall „der Ort, an den die Seele gern zurückkehrt.“ Das heißt für mich sie verbindet sich für den, der in ihr lebt und der sich auf sie einlässt, mit Erfahrungen und Begegnungen, die mich ein ganzes Leben lang prägen können, auch wenn ich mich weiterentwickle oder gar nicht mehr in meiner Heimatgemeinde lebe. Ich möchte diesen Gedanken von der Gemeinde als Heimat in drei Impulsen vertiefen, die sich mit dem heutigen Fest und den biblischen Lesungen verbinden.
- Gemeinde ist das Haus, in dem alle einen Platz haben.
In meiner Jugend und später auch noch in den ersten Jahren als Pfarrer war ein Lied von Peter Janssen sehr beliebt, dessen ständiges Spielen in Familien- und Jugendgottesdiensten wahrscheinlich viele meiner Generation so geschädigt hat, dass sie den Text noch immer auswendig mitsingen können. Im Kehrvers heißt es da: „Komm, bau ein Haus, das uns beschütz. Pflanz einen Baum, der Schatten wirft, und beschreibe den Himmel, der uns blüht“ Danach lädt der Komponist viele ein, in diesem Haus Gottes zu wohnen vom Kind bis zum alten Menschen. Es mag kitschig klingen, aber ich halte noch immer daran fest, dass so Gemeinde ist: Ein Haus, in dem alle Platz haben, ein Ort der Begegnung der Generationen, der Erfahrung von Unbeschwertheit und Gemeinschaft, die dem Leben Tiefe, aber auch Fröhlichkeit gibt. Wir verwalten nicht den Untergang, wir bauen an einem lebendigen Haus, in dem jeder seinen Platz finden darf. Ich wünsche mir, dass Eltern, Familien und Kinder Erfahrungen machen, die ihnen in allen Umbrüchen des Lebens das Gefühl geben, dass sie ernst- und angenommen werden. Taufeltern sind keine Kunden, Kommunionfamilien keine Störfaktoren und Jugendliche keine lustlosen Ausnutzer unserer Angebote. Die Senioren sind nicht die Alten, um die man sich nicht kümmern muss, weil sie ja eh kommen. Ich bin überzeugt, dass in einer lebendigen Gemeinde jede Lebensstufe etwas finden kann, dass sie beheimatet. Ganz bewusst stelle ich mich hinter unsere Kindertagesstätten, weil sie Orte der Gemeinde sind, an denen wir in Begegnung mit Menschen kommen, die mitunter gerade Familie geworden sind und froh sind, dass sie hier eine Atmosphäre haben, in der ihre Kinder wertvolle Persönlichkeiten werden können. In der Gemeinschaft der Generationen können Jugendliche Werte für sich finden, die ihrem Leben Orientierung und Richtung geben aus dem Geist Jesu. Menschen in der Lebensmitte dürfen hier erfahren, dass sie nicht nur das sind, was sie leisten und schaffen. Und Senioren haben ihren Platz, ohne sie rechtfertigen zu müssen, dass sie da sind. Eine Gemeinde lebt davon, dass jeder sein darf.
- In einer Gemeinde werden alle gesehen, v.a. auch die, die sonst übersehen werden
Im heutigen Evangelium hören wir wieder von einem beeindruckenden Heilungswunder Jesu. Was schnell übersehen wird, scheint mir aber sehr wichtig: Freunde bringen den Gehörlosen zu Jesus. Sie sehen seine Not und teilen sein Leid. Sie werden nicht einfach mitleidig und bedauern den armen Menschen, sondern entwickeln für ihn eine Perspektive. Sie bitten Jesus für ihn. Mit ihrer Aktion wird ein Mensch in den Mittelpunkt gerückt und zum Zentrum des Interesses, der in der Regel eine Randstellung einnimmt. Der Gehörlose wird geheilt, aber seine Heilung bewirkt auch Heilendes für die anderen. Sie reden in neuer Weise: „Er hat alles gut gemacht“. Achtsamkeit und Einfühlungsvermögen, die oft im Leben einer Leistungsgesellschaft untergehen, durchwirken das Miteinander unter denen, die an Jesus glauben. Für den anderen Menschen beten und ihn vor Gott tragen, das ist Liturgie. Wir zelebrieren nicht einen Ritus, sondern feiern die Begegnung mit dem Gott des Lebens, in die wir auch die Menschen mithineinnehmen wollen, die uns am Herzen liegen. Achtsamkeit für die Menschen in Not, aber auch Offenheit, uns selbst verwandeln zu lassen, dass wir staunen und reden können von dem, was uns Hoffnung macht. Im Blick auf den Propheten Jesaja scheint mir das eine große Aufgabe für eine christliche Gemeinde: Künder der Hoffnung sein in einer Welt, in der viele Unheilspropheten mit markigen Sprüchen sich in Szene setzen. Wir reden nicht schön, aber wir reden von der Perspektive der Hoffnung auf eine Zukunft, die noch nicht verloren ist. Wir sind nicht die drei Affen, die nicht sehen, nicht hören und nicht reden. Wir sehen die Wirklichkeit der Welt, wir hören auf das Seufzen derer, die in Not sind, und wir haben den Mut von Gott zu sprechen, der Leben will für alle.
- Eine Gemeinde gibt mir die Sicherheit, dass es gut ist, dass ich da bin,
Kehren wir noch einmal zum heutigen Fest zurück. Der Hamburger Pfarrer Felix Evers deutet es mit einem Lied, das Taufeltern und Erzieherinnen im Kindergarten gut kennen und in dem es heißt: „Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur, ganz egal ob du dein Lebenslied in Moll singst oder Dur. Du bist ein Gedanke Gottes, ein genialer noch dazu. Du bist du!“ Welchen Wert hat das Leben? Der beunruhigende Gedanke, dass ich mich für mein Dasein rechtfertigen muss durch Leistung, lastet auf immer mehr Menschen. Die Welt ist komplex geworden und viele drohen den Halt und die Orientierung zu verlieren. Sich an anderen zu messen und doch immer wieder zu erleben, dass ich nicht perfekt bin oder gar nicht den großen Erwartungen entsprechen kann, die an mich gestellt werden, stürzt Menschen in Niedergeschlagenheit und Erschöpfung. Gemeinde ist ein Gegen-Ort. Hier bin ich nicht zuerst derjenige, der dies oder das kann, den man für jene Aufgabe einsetzen kann, sondern hier bin ich Person. Person führen wir zurück auf den lateinischen Begriff „personare“, „durchtönen“. Ich bin also der Resonanzraum Gottes, durch den sein Wort tönen kann, gleichsam eine Botschaft Gottes an alle Menschen. Diese Botschaft kennen wir vom Jordanstrand her, in dem Moment, in dem sich bei der Taufe Jesu der Himmel öffnete und die Stimme Gottes sprach: „Du bist mein geliebtes Kind, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ Einen Ort zu gestalten, der nicht geprägt ist von Überheblichkeit, aber vom Selbstbewusstsein, dass ich als Kind Gottes einen festen Platz in dieser Welt und eine Heimat im Himmel habe, heißt für mich, an einer lebendigen Gemeinde zu bauen.
Liebe Schwestern und Brüder
„Ein feste Burg ist unser Gott, ein starke Wehr und Waffen“, singen unsere evangelischen Mitchristen. Als Albert Boßlet diese Kirche und das Areal Mitte der dreißiger Jahren plante, scheint er wohl diesen Gedanken im Hinterkopf gehabt zu haben. In einem Umfeld, in dem die christliche Botschaft angegriffen wurde und Fremdenhass zur Staatsideologie wurden, hat er ein Bollwerk des Glaubens geschaffen. Heute noch merkt man diese Intention, wenn man den Pfarrhof betritt. Es wirkt auf manchen Besucher wie ein Burganlage.
Mit Blick auf diese Positionierung in der Burg Gottes haben wir letztlich zwei Möglichkeiten.
Wir können uns in unseren Gemeinden abriegeln vor der Welt und versuchen, eine Art Parallelwirklichkeit aufzubauen. Dann werden wir alle Entwicklungen nicht nur kritisch beobachten, sondern auch als schlecht verurteilen. Das ist für mich der Weg zur Sekte. Denn wir können unsere Gläubigen nicht einsperren in der Hoffnung, dass uns keiner verloren geht. Oder aber wir öffnen die Tore unserer Gemeinden, der Burg Gottes, um Menschen in ihrer Suche nach Gott, in ihrer Bedrängnis und ihrer Sehnsucht nach einem Obdach für die Seele Heimat zu bieten. Dann wird vielleicht nicht immer alles perfekt sein. Dann werden wir akzeptieren müssen, dass Menschen unterschiedliche Einstellungen zur Art haben, wie ihr Leben gelingt, die nicht immer den kirchlichen Gesetzen und Moralvorstellungen entsprechen, aber dann erfüllen wir den Auftrag Jesu an den Gehörlosen und an uns: „Effata! Tue dich auch!“ Und nur dann haben wir auch die Möglichkeit einmal festzustellen, dass alles gut geworden ist. Wir wollen nicht in Angst und Furcht diese Welt überstehen, sondern uns öffnen und zur Heimat werden für Menschen, die mit uns auf das Wort Gottes hören und zu leben versuchen.“ Amen
Sven Johannsen, Pfarrer